Eine Studie erklärt, warum viele Deutsche kinderlos bleiben. Viele befürchten, eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden – oder dem gesellschaftlichen Ideal. Der Stellenwert von Kindern ändert sich. Von Claudia Ehrenstein
Eine Säuglingsstation in Seligenstadt. Die Zahl der jährlich geborenen Kinder sinkt in Deutschland stetig
Bald ist Weihnachten – das Fest, auf das sich gerade Kinder freuen. Und ausgerechnet in die Vorfreude auf diese Feiertage platzt nun das Wiesbadener Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) mit einer Studie, die erklärt, warum gerade in Deutschland so viele Frauen kinderlos bleiben – allen familienpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre zum Trotz.
Demnach sind es nicht nur ökonomische Überlegungen, sondern vor allem auch die sozialen und kulturellen Umstände, die Frauen davon abhalten, Mutter zu werden. So befürchten gerade auch hochqualifizierte Frauen, dem gesellschaftlichen Ideal der „guten Mutter“ nicht gerecht zu werden, wenn sie ein Kind groß ziehen und weiterhin arbeiten. Unter Akademikerinnen ist der Anteil kinderloser Frauen denn auch mit rund 30 Prozent besonders groß.
Was fehlt, ist die Anerkennung für berufstätige Mütter. 63 Prozent der Befragten in Westdeutschland befürchten, ein Kleinkind würde darunter leiden, wenn die Mutter berufstätig sei. In Ostdeutschland dagegen ist die Grundeinstellung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf optimistischer. Nur 36 Prozent der Befragten sind der Meinung, es sei nicht gut für ein Kleinkind, wenn es nicht von der Mutter, sondern in einer Kita betreut wird.
Kinder haben anderen Stellenwert
Die Studie hat erstmals Daten zur Familienforschung mit Befragungen zur Gefühlslage der Deutschen kombiniert. Dabei zeigte sich, dass Kinder heute einen anderen Stellenwert haben als in der Vergangenheit. Nur noch 45 Prozent der kinderlosen Erwachsenen glauben, dass Kinder ihr Leben bereichern und glücklicher machen würde. Das gilt für Frauen und Männer gleichermaßen.
Früher waren junge Frauen und Männer erst als erwachsene Personen voll anerkannt, wenn sie ihre eigene Geld verdienten, verheiratet waren und eigene Kinder hatten. Heute dagegen sind kinderlose Erwachsene kaum mehr der Ansicht, dass Kinder ihr gesellschaftliches Ansehen erhöhen würden. Und: Menschen mit hohem Anspruch an Elternschaft bleiben häufiger als andere kinderlos, „weil sie fürchten, ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden“.
Kinderlosigkeit, so resümiert die Studie, ist zu einem großen Teil gewollt und ganz bewusst gewählt. Während Frauen im Jahr 1865 im Durchschnitt noch 4,7 Kinder hatten, lag dieser Wert 1965 nur noch bei 1,55. Seit Mitte der 70er-Jahre schwankt die Kinderzahl pro Frau zwischen 1,24 und 1,45 Kindern. Die Zahl der jährlich geborenen Kinder sank in Deutschland von mehr als 900.000 Anfang der 60er-Jahre auf heute knapp 680.000 – mit Tendenz nach unten. Vor allem in ländlichen Regionen gehen die Geburtenzahlen weiter zurück.
Im Zweifel bleiben viele Frauen lieber allein
Auch angesichts dieses negativen Trends bleibt der Wiener Verhaltensanthropologe Martin Fieder gelassen. „Kinderlosigkeit steckt nicht in den Genen“, sagt Fieder im Gespräch mit der „Welt“. „Menschen, die in der Vergangenheit keine Kinder bekommen haben, sind nicht unsere Vorfahren.“ Mit der Zahl der Kinder steigt vielmehr der evolutionäre Erfolg. Es sind damit Frauen und Männer mit starkem Kinderwunsch, die sich in der Menschheitsgeschichte durchsetzten.
Ob sich eine Frau für oder gegen Kinder entscheidet, hängt vor allem von ihrer sozialen Stellung in der Gesellschaft ab. Mit dem Status steigen die Ansprüche an einen Partner. Je erfolgreicher eine Frau ist, desto weniger ist sie gewillt, Kompromisse einzugehen und einen Mann zu akzeptieren, der nicht mit ihr auf Augenhöhe steht. Umso schwieriger wird es für sie, einen potenziellen Vater zu finden. Im Zweifel bleiben viele Frauen daher inzwischen lieber allein – und ohne Kind.
Ein Dilemma, das sich nach Ansicht Fieders aus dem vorherrschenden Familienmodell „Vater, Mutter, Kind“ ergibt. Noch ist eine sehr deutliche Mehrheit von 86 Prozent der Deutschen der Ansicht, dass Kinder mit beiden Elternteilen aufwachsen sollten. Die vorherrschende Lebensform ist denn auch mit 30,8 Prozent das verheiratete Paar mit zwei Kindern.
Ein Drittel der Kinder in Deutschland aber werden heute schon von unverheirateten Müttern geboren. „Das Reproduktionsverhalten passt sich schnell der Gesellschaft an“, sagt Fieder und fordert die Politik auf, alleinerziehende Mütter besser zu unterstützen und ihre Stellung in der Gesellschaft damit zu stärken.
Studie plädiert für flexiblere Arbeitszeiten
Die Konsequenz sinkender Geburtenzahlen soll nun aber nicht sein, Frauen aus der Arbeitswelt fern zu halten. Die Studie plädiert für mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten, um es jungen Müttern und Vätern in der sogenannten Rush Hour des Lebens zwischen 30 und 40 zu erleichtern, ihre Familie und den Beruf unter einen Hut zu bringen.
Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) fordert von der Wirtschaft mehr Betriebskindergärten, mehr Anerkennung für Teilzeit-Arbeit, mehr Rücksicht auf familiäre Belastungen. „Bei allem was Politik tut, darf sie aber nicht den Eindruck erwecken, sie könnte unmittelbar die Geburtenrate beeinflussen“, erklärt ein Ministeriumssprecher
Fieder rät gerade gut ausgebildeten Frauen, ihren Kinderwunsch möglichst noch während des Studiums zu realisieren. Dann erlaubt erstens der Studienplan noch mehr Flexibilität. Und zweitens sind Unterschiede im Status noch nicht so ausgeprägt – was es für Frauen und Männer leichter macht, einen passenden Partner zu finden.